Zusammengepfercht in viel zu kleinen Booten wagen sie die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer. Ihr Ziel: ein sicherer Hafen und eine Zukunft in Europa. Aber viele kommen nicht an. Sie ertrinken, verdursten oder sterben an Krankheiten. Das Elend der Geflüchteten und die Versuche, sie zu retten, war Thema eines Vortrags in der Volkshochschule (vhs) Montabaur. Dazu hatte die Ortsgruppe der „Seebrücke“ Kapitän Wilko Beinlich eingeladen – einen Mann, der sich mit enormen Einsatz engagiert und nicht müde wird, auf die andauernde Misere aufmerksam zu machen.
Ein bunt gemischtes Publikum aus junger und älterer Generation hörte ihm sichtlich betroffen zu. Als nautischer Offizier konnte Beinlich das Reisen zunächst auf der „Schokoladenseite“ erleben. Er hat die Welt auf einem Luxus-Kreuzfahrschiff befahren. Dann fand er seine wahre Bestimmung. Mit der Seenotrettung setzt er sich nun für ein besseres und menschlicheres Europa ein. Als Katastrophenmanager war er bei der EU-Kommission im Bevölkerungsschutz tätig. Inzwischen lebt der begeisterte Segler und Triathlet bei Passau und ist ehrenamtlich an Schulen, Universitäten und bei Vereinen unterwegs, um für die Schicksale der Abertausenden von Geflüchteten auf dem Mittelmeer zu sensibilisieren, die weder Stimme noch Namen haben. Für ihn selbst ist das zudem eine Art Therapie, das Geschehene zu verarbeiten.
Mit dem Schiff „IUVENTA“ der Organisation „Jugend Rettet“ war Wilko Beinlich von 2016 bis 2017 in der Seenotrettung aktiv, später noch auf einem anderen Schiff. Auch in Montabaur erzählte er hautnah von seinen Erlebnissen, von Schrecken, Trauer und Verzweiflung. Aber immer wieder gab es Momente der Menschlichkeit in der Unmenschlichkeit. Flüchtende kümmerten sich umeinander, teilten ihr Essen, Frauen und Kinder wurden zuerst in Sicherheit gebracht. „Wilko Beinlich dramatisiert nicht, sondern berührt mit Fakten und öffnet die Augen“, sagte eine Zuhörerin. „Umso herzergreifender sind die Geschichten.
Nach anderthalb Stunden endete die Veranstaltung offiziell. Aber die Teilnehmenden blieben nochmal genauso lange. Und so berichtete Wilko Beinlich ausführlich von einem 80-stündigen Einsatz mit insgesamt neun Stunden Schlaf. Es galt, mehr als 2.000 Menschen zu retten. Auf meist nur zehn Meter langen Schlauchbooten drängten sich jeweils etwa 130 Personen, 900 weitere waren auf einem seeuntauglichen Holzboot. Viele sprangen panisch ins Wasser und wurden unterkühlt geborgen. Die Bundeswehr beteiligte sich an der chaotischen Rettungsaktion. Aber nicht alle Geflüchteten überlebten. „Man kann nie alle retten“, erklärte Wilko Beinlich knapp.
Bei verschiedenen Anlässen hat die Lokalgruppe Montabaur der „Seebrücke“ um Initiatorin Keana Müller bereits 450 Euro gesammelt, die dank Spenden am Vortragsabend auf 720 Euro aufgestockt werden konnten. Das Geld geht an die von Wilko Beinlich unterstützte Organisation „United 4 Rescue“ und kommt unmittelbar Menschen auf der Flucht zugute, sei es durch medizinische Versorgung, Nahrung oder Rettungswesten.
Die „Seebrücke“ ist eine internationale Bewegung, die getragen wird von verschiedenen Bündnissen und Akteuren der Zivilgesellschaft. Sie solidarisiert sich mit allen Menschen auf der Flucht und fordert von der Politik sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme aller, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind. Die Montabaurer Lokalgruppe der „Seebrücke“ ist entstanden aus der Beteiligungsplattform Jugend macht Zukunft (JumaZu) der Verbandsgemeinde Montabaur. Inzwischen hat sich eine von JumaZu unabhängige eigenständige Organisation daraus entwickelt. Ihre Mitglieder freuen sich über Interessierte, die sich ebenfalls engagieren möchten. Kontakt per Mail: montabaur@seebruecke.org oder Instagram seebruecke_montabaur.